Seit der Coronazeit arbeiten weitaus mehr Menschen im Homeoffice. Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten 2018 ca. 12 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland von Zuhause aus. Diese Zahl hat sich, ersten Schätzungen zufolge, seit der Coronakrise auf 25 Prozent verdoppelt. Selbst in Bereichen, in denen dies nicht für möglich gehalten wurde (z. B. in der Callcenterbranche), arbeiten die Mitarbeiter*innen im Homeoffice.

Das zeigt, dass Homeoffice generell möglich ist – auch ohne Corona. Ich bin sehr gespannt, ob Arbeitgeber eine ähnliche Einstellung entwickeln und es ihren Mitarbeiter*innen zukünftig einfacher machen, von Zuhause aus zu arbeiten. Eine zentrale Frage, die sich Führungskräfte in diesem Zusammenhang stellen sollten, ist: Schenke ich meinen Mitarbeiter*innen Vertrauen oder Misstrauen?

Nach welchen Menschenbildern führen Führungskräfte?

X-Theorie nach McGregor*

Das Menschenbild der Theorie X nimmt an, dass der Mensch von Natur aus faul ist und versucht, Arbeit so gut es geht zu vermeiden. Motiviert ist er, wenn überhaupt, nur von außen. Das heißt durch extrinsisch ausgerichtete Maßnahmen zur Belohnung bzw. zur Sanktionierung.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Führungskräfte, welche das X-Menschenbild verinnerlicht haben, Homeoffice verurteilen liegt daher nahe. Sie gehen davon aus, dass Menschen im Homeoffice gar nicht oder sehr schlecht arbeiten. Menschen müssen ihrer Meinung nach zur Arbeit gezwungen und eindeutig geführt werden. Ohne Androhung von Strafe wird demnach selten ein produktiver Beitrag zum Unternehmenserfolg geleistet.

Y-Theorie nach McGregor*

Das Menschenbild der Theorie Y geht davon aus, dass der Mensch durchaus ehrgeizig und bereit ist mit Selbstdisziplin und Selbstkontrolle sinnvolle Ziele zu erreichen. Y-Menschen sehen die Arbeit als Quelle der Zufriedenheit und haben Freude daran, Leistungen zu zeigen. Des Weiteren zeigt dieses Menschenbild ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Führungskräfte mit dem Y-Menschenbild die Arbeit im Homeoffice grundsätzlich positiv bewerten, ist als hoch einzuschätzen. Der Y-Mensch ist von Natur aus leistungsbereit und von innen motiviert. Daher sind Bedingungen zu schaffen, die den Menschen motivieren, z. B. durch mehr Selbstbestimmung, größere Verantwortungsbereiche und flexible Organisationsstrukturen. Identifiziert sich der Mensch mit den Zielen des Unternehmens, handelt er aus Eigeninitiative und externe Kontrollen werden überflüssig.

Die meisten Unternehmen richten ihr Handeln in der Außendarstellung auf das Y-Menschenbild aus. In meiner Beratungsarbeit erlebe ich häufig eine Diskrepanz zwischen Gesagtem und Gelebtem. Viele Führungskräfte zeigen eine deutliche Ausprägung des X-Menschenbildes in ihrem Kommunikations- und Führungsverhalten. Für mich ist es sehr spannend zu beleuchten, ob es unternehmensgesteuert oder individuell personell bedingt begründet ist. Dies würde jedoch den Rahmen sprengen, denn in diesem Beitrag geht es mir um die Zusammenhänge der X- und Y-Menschenbilder bezogen auf das Thema Homeoffice.

*weiterführende Literatur vgl. z. B. Helmut Kasper, Wolfgang Mayrhofer (Hrsg.): Personalmanagement, Führung, Organisation

Vor- und Nachteile von Homeoffice

Vorteile Homeoffice

Kein Arbeitsweg – Man spart jeden Tag Zeit und Kosten ein, da man nicht erst mit dem Auto oder mit der Bahn fahren muss, um ins Büro zu kommen. Des Weiteren ist ohne Staus oder nervige Bahnverspätungen ein deutlich entspannterer Start in den Arbeitstag möglich.

Weniger Ablenkung – Der Geräuschpegel in Großraumbüros oder generell die Ablenkung durch Kollegen erschweren in vielen Fällen ein fokussiertes Arbeiten. Das kann die Produktivität deutlich einschränken. Im Homeoffice fällt diese Ablenkung weg (Kinderbetreuung ausgenommen), was zur Stressreduktion beiträgt und sich positiv auf die Produktivität auswirken kann.

Arbeiten nach dem eigenen Biorhythmus – Die Arbeitszeit ist in vielen Fällen im Homeoffice selber planbar. Mitarbeiter*innen haben dadurch die Möglichkeit, nach ihrem eigenen Rhythmus zu arbeiten und ggf. die Arbeitszeit den individuellen Schlafgewohnheiten anzupassen. Das ist nicht nur gesünder, sondern kann im hohen Maße die Motivation und Produktivität der Arbeitsleistung steigern.

Mitarbeiterzufriedenheit – Flexibilität und Wahlmöglichkeiten fördern nicht nur die Zufriedenheit des bestehenden Personals. Auch bei der Suche nach neuen Mitarbeiter*innen kann Homeoffice ein positives Entscheidungskriterium sein.

Kosteneinsparung – Dieser Punkt ist nicht zu vernachlässigen. Durch die Möglichkeit seine Mitarbeiter*innen im Homeoffice arbeiten zu lassen, hat der Arbeitgeber Einsparpotenzial, z. B. bei der Büroausstattung, den Miet-, Heiz- und Stromkosten.

Nachteile Homeoffice

Erschwerter Austausch – Da man nicht kurz ins Nachbarbüro gehen oder über den Schreibtisch rufen kann, um mit den Kolleg*innen offene Fragen zu klären, kann es ggf. deutlich länger dauern, bis notwendige Absprachen und Abstimmungen erfolgen.

Isolation – Durch den fehlenden persönlichen Kontakt besteht die Gefahr der sozialen Vereinsamung. Gerade in Singlehaushalten kann das Arbeiten im Homeoffice dazu führen, dass man tagelang nicht vor die Tür und in den echten Kontakt mit anderen Menschen tritt.

Fehlende Work-life Balance – Im Homeoffice kann es Menschen schwerfallen, ein klares Ende der Arbeitszeit einzuhalten. Zu groß ist die Verlockung „kurz“ die Mails zu checken oder abends noch mal den Laptop hochzufahren. Dies kann dazu führen, dass das eigene Freizeitverhalten permanent niedriger priorisiert wird und dadurch sogar ganz unter den Tisch fällt.

Mangelnde Selbstdisziplin – Wer in seinem Arbeitstag keine Struktur einbinden kann, läuft Gefahr, anstehende Aufgaben nicht bewältigen zu können. Dadurch sinkt die Motivation und die Arbeitsleistung.

Fehlender Raum – Falls kein Arbeitszimmer verfügbar ist und dadurch das Homeoffice im Wohnzimmer oder in der Küche provisorisch auf- und abgebaut wird, ist es aus Platzmangel und / oder ergonomischer Sicht oft gar nicht möglich, von zu Hause aus zu arbeiten.

Warum ist ein Umdenken in Sachen Homeoffice nötig?

Ein Umdenken ist nötig, da die Coronakrise bewiesen hat, dass arbeiten im Homeoffice deutlich besser funktioniert als es vorher vermutet wurde. Eine Ad-hoc-Studie der TH Köln hat die derzeitige Homeoffice-Situation von Arbeitnehmern branchenübergreifend untersucht und herausgefunden, dass bei 42 Prozent der Teilnehmer*innen die Produktivität gestiegen ist. 20 Prozent der Befragten gaben an, dass die Produktivität nachgelassen habe.

Als Experte für Führung und Veränderung bin ich grundsätzlich ein Befürworter der Arbeit im Homeoffice. Jedoch sehe ich den Vorstoß des Arbeitsministers Hubertus Heil, der im Herbst ein Gesetz vorlegen möchte, in welchem das Recht auf Homeoffice gesetzlich verankert werden soll, kritisch. Dieses Recht kann nicht für alle gelten, da es Bereiche gibt, in denen Homeoffice nicht möglich ist. Es ist zu überlegen, ob diese Berufsgruppen durch dieses Gesetz benachteiligt wären. Des Weiteren müssen die Gegebenheiten vor Ort individuell betrachtet werden, sodass möglichst viele (u. a. der hier aufgezeigten) Nachteile der Arbeit im Homeoffice minimiert werden.

Kritisch schaue ich gerade auf Stimmen von Führungskräften nicht unbedeutender Unternehmen, die ohne Grundlage Homeoffice negativ bewerten und jetzt den zeitnahen Entzug als Druckmittel gegenüber Eltern aussprechen. Diese Denkweise halte ich für absolut unprofessionell und erpresserisch. Eine moderne Führungskraft sollte nach dem Y-Menschenbild führen und seinen Mitarbeitern Vertrauen schenken, statt Kontrolle auszuüben. Gerade in Krisenzeiten, aber auch nach Corona!

Wie sollte Homeoffice zukünftig gestaltet werden?

Ein Mix aus Präsenzzeit im Unternehmen und Homeoffice könnte eine tragfähige Perspektive für modernes Arbeiten sein. Können Mitarbeiter*innen 1-2 Tage in der Woche von Zuhause aus arbeiten, entstehen für Arbeitnehmer*innen Freiräume, die als positiv empfunden werden. In meiner Zeit im Angestelltenverhältnis habe ich hin und wieder im Homeoffice gearbeitet. Das gab mir die Möglichkeit fokussierter an Themen zu arbeiten, für die keine Präsenz im Büro nötig war – z. B. das Schreiben von Beurteilungen und Zeugnissen.

Können Mitarbeiter*innen entscheiden, von wo aus sie arbeiten, bedeutet das für eine Führungskraft vorallem eins: vertrauen! Natürlich wird es immer schwarze Schafe geben, die die Gutmütigkeit und das Vertrauen von Arbeitgebern ausnutzen – egal von wo aus sie arbeiten. Bei Verdacht gibt es immer Mittel und Wege dieses Verhalten zu unterbinden. Zum Glück ist das nicht die Regel.

Fest steht, dass sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter*innen Schulungsbedarf haben werden. Themen wie virtuelle Führung und Führung auf Distanz sind ebenso neue Herausforderungen wie Zeit- und Selbstmanagement im Homeoffice. Auch die Nutzung digitaler Techniken bedarf einer schrittweisen Einführung. Ohne begleitende Coaching- oder Trainingsmaßnahmen besteht die Gefahr, dass man Menschen bei diesem Veränderungsprozess abhängt oder gar verliert. Auch hier ist in erster Linie Führung gefragt!

Eine zentrale Frage, die sich für Führungskräfte beim Thema Homeoffice ergibt, habe ich eingangs erläutert. Doch auch Arbeiternehmer*innen sollten sich eine Frage stellen: Möchte ich in einem Unternehmen arbeiten, in dem Vertrauen oder Misstrauen gelebt wird?

Kommentiere gerne deine Meinung oder deine Erfahrungen zum Thema Homeoffice.

Dein René